Emil Nolde: Exotische Figuren

Aneignung, Ausdruck und Ambivalenz

Zwei abstrakte, farbenfrohe Figuren stehen nebeneinander auf einer rotbraunen Fläche mit einem blassblauen Himmel im Hintergrund; die eine trägt rosa und hat einen rosa Kopf, die andere ist orange und grün mit geometrischen Formen. Hinter ihnen befindet sich eine dunkle Tiergestalt.

Emil Noldes Gemälde Exotische Figuren steht exemplarisch für ein zentrales Motivfeld innerhalb seines Schaffens: die Darstellung nicht-europäischer Figuren, Masken und Artefakte. Es ist ein Bild, das einerseits Ausdruck einer künstlerischen Suche nach neuen Formen und Farben ist, andererseits aber auch in einem kolonialen und ideologischen Kontext gelesen werden muss.

ROXANA SALZBURGER
Der Ursprung der Figuren: Museumsskizzen und musealisierte Alterität

Der Titel gibt keine Auskunft über die Identität oder Herkunft der Figuren, jedoch konnte die Forschung sie als Kachina-Figuren der Hopi identifizieren, einer indigenen Bevölkerungsgruppe Nordamerikas. Die linke Figur gilt als „Nuvak-Chin Mana“ – eine weibliche Kachina der Pueblo-Kulturen Nordamerikas.1 Die Figur auf der rechten Seite konnte bisher nicht näher spezifiziert werden. Die Schweinefigur im Hintergrund wird allgemein als „afrikanisch“ gedeutet.2 Die Figuren gehen auf drei verschiedene Vorzeichnungen des Künstlers zurück , die er im damaligen Berliner Völkerkundemuseum, dem heutigen Ethnologischen Museum, angefertigt hat. Zwischen 1910 und 1913 produzierte Nolde dort rund 120 Zeichnungen von Ausstellungsobjekten, die sich teils spezifischen Sammlungsstücken zuordnen lassen.3

Nolde, der selbst eine Sammlung nicht-europäischer Artefakte und internationaler Volkskunst besaß, wird oft als „passionierter Sammler“ einer „vielschichtigen“ Bildwelt bezeichnet, – eine Einordnung, die aus heutiger Sicht zu undifferenziert ist. Wie bekannt ist, inszenierte sich Nolde nach 1945 erfolgreich als Opfer der NS-Kunstpolitik und Wertschätzer sog. „exotischer“ Kulturen. Eine Aufarbeitung seiner Unterstützung der nationalsozialistischen Politik sowie seiner eigenen in Texten und Werken zum Ausdruck kommenden Rassenideologie wurde erst in jüngerer Zeit begonnen und dauert bis heute an.

Nolde schreibt im Mai 1930 in einem Brief an Max Sauerlandt, den damaligen Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, selbst über seine Figurenstillleben:

In der Darstellung der ‚Exotischen Figuren‘ habe ich mich gar nicht bemüht irgendwie in die Exotische Kunst einzudringen, sie waren mir nur Gegenstände wie ein Topf oder eine Blume es auch gewesen wären. Nur lag damals mir etwas daran interessantere Objecte u. anderes zu malen, als die üblichen Äpfel auf dem weißen Tuch […].

Eine genaue Identifikation der einzelnen Figuren stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Kunsthandwerker*innen der Hopi gestalteten ihre Figuren nach individuellen Vorstellungen. Übertragungen europäischer Kategorien wie „Skulpturen“, „Puppen“ oder „Figuren“ werden selten der komplexen Funktion und Bedeutung dieser Objekte gerecht. Bereits auf Noldes Zeichnungen sind die Figuren stark abstrahiert; das Gemälde steigert dies weiter. Die realen Vorlagen werden in eine neue Bildwirklichkeit überführt, die sich jeder eindeutigen Lesbarkeit entzieht. Dies kann auch an der Tatsache liegen, dass Nolde die Figuren nicht als Objekte mit Bedeutung, sondern als Gegenstände zum Abbilden gebrauchte.

Ein Schwarz-Weiß-Foto einer Museumsgalerie zeigt große Skulpturen und Artefakte in Vitrinen und auf Sockeln, mit hohen Decken und reichlich Beleuchtung.

Ausstellungsraum des umgebauten Völkerkundemuseums in Berlin, Aufnahme 1926, Ozeanische Abteilung (Berlin, Kunstbibliothek)

Farbe als Ausdrucksmittel

Farbe war für Nolde mehr als ein Mittel zur Abbildung: Sie war Ausdrucksträger für das Unsichtbare. Zur Zeit der Industrialisierung führte der Drang nach „unentfremdeten Lebenszusammenhängen“ Künstler*innen der Moderne in ethnografische Museen. Nolde selbst erklärt 1965 in seinem Buch Welt und Heimat:

Als ich später in fremden Ländern reiste und bei den Urvölkern der Südsee war, war es mein besonderes Verlangen, einige ganz von jeder Zivilisation unberührte Erstheiten der Natur und Menschen kennenzulernen.
– Emil Nolde

Bei der Auseinandersetzung mit nicht-europäischen Werken ging es Nolde vor allem um die Freisetzung ‚innerer Kräfte‘ durch Farbe und Fläche. Die Umsetzung von Noldes ethnografischen Studien in die Malerei zeigt deutlich, dass der Wechsel vom Detail zur flächigen, ornamentalen Komposition kein bloß formaler Akt war: Er verschiebt die Objekte in eine neue ästhetische Sphäre, löst sie aus ihrem kulturellen Zusammenhang und macht sie zu Projektionsflächen für die eigene künstlerische Vision. Dabei entstehen Spannungsverhältnisse zwischen Abstraktion, Wiedererkennbarkeit und bewusster Entkontextualisierung.

Wenn über Noldes Figurenstillleben geschrieben wird, dass sie „die Vielfalt“ feiern würden und sich in dieser Vermengung „die Strahlkraft seiner Bilder“ zeige, so ist dies Ausdruck einer jahrzehntelangen undifferenzierten und bis heute nicht vollends aufgearbeiteten kolonialen Perspektive der europäischen bzw. westlich geprägten Kunstgeschichtsschreibung. Nolde (bzw. der Werktitel) projiziert auf die ihm ‚fremden‘ Figuren, deren Herkunft verschleiert bleibt und die Teil einer europäischen Fantasie vom ‚Exotischen‘ sind, einen Fetischcharakter. Das Werk Exotische Figuren wird so zum Beispiel einer ästhetischen Aneignung, die das ‚Andere‘ nicht nur entkontextualisiert, sondern auch mit einer kolonial geprägten Fetischisierung versieht. Die kunsthistorische Forschung hat lange Zeit verkannt, wie tief solche Fantasien in kolonialrassistische Denkweisen eingebettet sind. Es ist daher unerlässlich, den künstlerischen Ausdruck zu würdigen und zugleich die ideologischen Implikationen kritisch zu reflektieren. Eine weitere Analyse des Werktitels ist daher unerlässlich.

 

Nolde, das Völkerkundemuseum und die Deutsch-Guinea-Expedition

Nolde besuchte nicht nur das Berliner Völkerkundemuseum, welches zwei Jahre nach der sog. ‚Afrika Konferenz‘ in Berlin als eigenständiges Museum eröffnet worden war, sondern reiste im Oktober 1913 im Rahmen der Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition mit seiner Frau Ada in das damalige deutsche Kolonialgebiet. Die Expedition sollte dem Bevölkerungsrückgang in Papua-Neuguinea nachgehen und wurde durch das Reichskolonialamt finanziert. Nolde selbst kam dabei nach eigener Aussage die Aufgabe zu, die „[…] rassischen Eigentümlichkeiten der Bevölkerung […]“ zu erforschen.

Nolde nahm dabei nicht bloß aus künstlerischem Interesse an der Expedition teil, sondern in offizieller Funktion. Das bedeutet, dass er aktiv das koloniale Bestreben des Deutschen Reichs unterstützte. Vor dem Hintergrund dieser Ideologie muss auch Noldes Kunstproduktion vor 1913 betrachtet werden. Die angefertigten Studien und Begegnungen mit Menschen in Papua-Neuguinea überlagerten sich mit der musealen Vorprägung seiner Vorstellung vom ‚Fremden‘. Diese doppelte Perspektive ist entscheidend: das Museum als Speicher kolonialer Beutestücke einerseits und die Expedition als direkte Erfahrung kolonialer Herrschaft andererseits. In beiden Fällen fungierte Nolde nicht als neutraler Beobachter, sondern als Akteur in einem Netz kolonialer Bedeutungsproduktion. Die ‚fremde‘ Welt wurde zur Bühne für seine Kunst, die wiederum eine europäische Überlegenheit implizierte. 2

Kunst und politische Biografie

Die spätere Geschichte Noldes ist bekannt: Während der NS-Zeit wurden seine Werke als ‚entartet‘ diffamiert, zugleich war er großer Befürworter von Hitlers Regime. Seine sog. „innere Emigration“ wurde lange Zeit mit einem Opfernarrativ verknüpft. Heute ist belegt: Nolde teilte in vielen Punkten das rassistische und völkische Denken seiner Zeit. In seinen autobiografischen Schriften konstruierte er sich als ungebildeten Einzelgänger, der mit der Zivilisation brach. Diese Selbststilisierung diente auch der politischen Reinwaschung nach 1945. Noldes Darstellung sog. ‚fremder‘ Kulturen wird in der Forschung häufig als respektvoll gewertet, da der Künstler in seinen autobiografischen Schriften wiederholt die Kunst der sog. ‚Naturvölker‘ gewürdigt habe. Ideologische Abgrenzungen zum ‚Anderen‘ scheinen auf den ersten Blick kaum erkennbar.

Eine genauere Analyse seines Werks legt jedoch eine andere Lesart nahe, die vielmehr auf eine eigennützige Aneignung hinweist. So werden etwa die Kachina-Figuren ohne erkennbare Kontextualisierung oder szenische Einbettung mit Motiven vom afrikanischen Kontinent kombiniert. Sich inspirieren zu lassen ist gängige künstlerische Praxis. Doch Noldes völkisch-nationalistische Gesinnung sowie die kolonialen Rahmenbedingungen seiner Südsee-Expedition werfen einen Schatten auf diese Arbeiten. Noldes Werke sind nie losgelöst von diesen ideologischen und historischen Kontexten zu betrachten.

Vgl. Urban, Emil Nolde. Masken und Figuren. Vgl. Nolde Stiftung Seebüll: Biografie Emil Nolde, o.J. URL: https://www.nolde-stiftung.de/nolde/biographie/ [Zugriff am 20.07.25].

Dabei wird nicht weiter eingeordnet welchem afrikanischen Land die Figur entstammen könnte.

Vgl. Urban, Emil Nolde. Masken und Figuren, S. 4.

Vgl. Müller, Karsten (Hrsg.): Interessantere Objecte als die üblichen Äpfel auf dem weißen Tuch. Noldes Figurenstillleben. In: Emil Nolde. Puppen, Masken und Idole. Ausstellungskatalog, Hamburg 2022, S. 8.

Emil Nolde zitiert nach: ebd.

Vgl. Müller, Interessantere Objecte als die üblichen Äpfel auf dem weißen Tuch, S.10.

Emil Nolde, Welt und Heimat, Köln 1965, S. 18.

Vgl. Heusinger von Waldegg, Joachim: Emil Noldes Maskenstillleben und die Ensor-Rezeption in Deutschland – ein Überblick. In: Nolde im Dialog 1905–1913. Quellen und Beiträge, Ausstellungskatalog, Karlsruhe und Seebüll 2002, S. 172.

Müller, Interessantere Objecte als die üblichen Äpfel auf dem weißen Tuch, S. 12.

Im Rahmen der Konferenz 1884/85 wurden große Teile des afrikanischen Kontinents aufgeteilt und das Deutsche Reich kurz nach seiner Gründung (1871) als Kolonialmacht etabliert. Vgl. Unbekannt/ Redaktionsteam: Kolonialismus begegnen – Das Königliche Museum für Völkerkunde, o.J. URL: https://kolonialismus-begegnen.de/geschichten/das-koenigliche-museum-fuer-voelkerkunde/ [Zugriff am 20.07.25]. Vgl. Aagesen, Dorthe/ von Bormann, Beatrice (Hrsg.): Expressionismus und Kolonialismus: Einführung der Kuratorinnen. In: Kirchner und Nolde. Expressionismus. Kolonialismus, Köln 2021, S. 20.

Vgl. Habermas, Rebekka: Ein Maler in der Kolonie: Emil Nolde und die „Medizinisch-Demographische Expidition“ in die deutsche Südsee (1913/1914). In: Kirchner und Nolde. Expressionismus. Kolonialismus, Köln 2021, S. 87.

Nolde, Emil: Welt und Heimat, S. 15.

Vgl. Zimmerman, Andrew [heute Angela Zimmermann]: Primitive Art, Primitive Accumulation, and the Origin of the Work of Art in German New Guinea. In: History of the Present, Vol. 1, No. 1 (Summer 2011), S. 5.

Vgl. Fulda, Bernhard/ Soika, Aya: Emil Nolde and the National Socialist Dictatorship. In: Olaf Peters (Hrsg.): Degenerate Art. The Attack on Modern Art in Nazi Germany 1937, München 2014, S. 186–195. Vgl. Sprotte, Martina: Bunt oder Kunst? Die Farbe im Werk Emil Noldes. Berlin 1998, S.10.

Vgl. Sprotte, Bunt oder Kunst, S.9f.